Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleg*innen, liebe Gäste auf der Tribüne,
als ich mich am vergangenen Sonntag auf den Weg zur „Möllner Rede im Exil“ in Hamburg machte, hatte ich meine eigene Rede gerade fertig. Die „Möllner Rede im Exil“ wird seit 2013 jährlich vom Freundeskreis organisiert, die Reden von ausgewählten Menschen an verschiedenen Orten gehalten. Schon nach den ersten Minuten der Veranstaltung war mir klar, dass ich meine eigene Rede hier heute so nicht würde halten können.
In meiner Rede wollte ich erinnern an die Tatnacht. Wollte dazu aufrufen, dass wir die politische Verantwortung übernehmen für das, was am 23. November 1992 in Mölln geschehen ist. Ich wollte an die gesellschaftliche und politische Stimmung zu der Zeit der Taten erinnern und die Parallelen von damals zu heute ziehen:
Wir haben wieder Krieg in Europa, nehmen wieder Geflüchtete auf. Es ist wieder eine Zeit, in der der Begriff „Sozialtourismus“ als Teil einer politischen Rhetorik brandgefährlich ist, auch wenn man sich hinterher dafür entschuldigt. Die bloße Andeutung, gesellschaftliche Probleme über Asylgesetzgebung lösen zu können, weist erschreckende Parallelen zu damals auf.
Für meine Rede hatte ich Studien und Statistiken in den Blick genommen, die belegen, dass es immer noch eine viel zu hohe Zahl von rassistisch motivierten Delikten gibt. Aus unserer Geschichte und den Zahlen wollte ich in meiner Rede herleiten, dass Antirassismus- und Antidiskriminierungsarbeit ein zentrales Element unserer gemeinsamen Politik sein müssen, dass jedes einzelne Ressort seine Verantwortung für die Umsetzung des Landesaktionsplans tragen muss.
Aber als ich mich dann am vergangenen Sonntag auf den Heimweg machte, war mir klar, dass es am heutigen Tag, um etwas anderes gehen muss. Ritualisierte Gedenkveranstaltungen nach Protokoll und ein reflexartiges Wiederholen des Ausspruchs „Nie wieder!“ sind nicht genug.
Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir den Menschen begegnen wollen, die die Anschläge überlebt haben. Wir müssen den Opfern zuhören, ihnen die Hoheit über ihr Gedenken zurückgeben. Wir müssen uns auf ihre Fassungslosigkeit, ihre Trauer, ihre Wut einlassen. Ich habe ihren Wunsch gehört, dass wir im Gedenken solidarisch hinter ihnen stehen, neben ihnen, aber nicht vor ihnen. Das Gedenken gehört den Opfern.
In den vergangenen 30 Jahren ist den Opfern viel Unrecht geschehen, das hat die Opferanwältin Katrin Inga Kirstein in der diesjährigen „Möllner Rede“ sehr deutlich gemacht. Die Entschuldigung des Bürgermeisters im Namen der Stadt Mölln hat alle Anwesenden tief bewegt und könnte ein erster Schritt auf dem Weg zu einem gemeinsamen Gedenken in der Zukunft sein.
Ich hätte mir gewünscht, dass wir heute alle in Mölln an der Seite der Opfer stehen. Auch im nächsten Jahr ist für den 23. November wieder eine Plenarsitzung vorgesehen. Ich wünsche mir, dass es zukünftig gelingt, an diesem Tag einen angemessenen Rahmen für ein Gedenken zu schaffen, dessen Bedeutung weit über Mölln hinausgeht.
Ich weiß, dass es Kritik vor Ort aber auch an unserer Resolution gibt, dass wir die Opferperspektive nach wie vor nicht zentral genug berücksichtigen. Ich nehme diese Kritik an. Wir können uns nur immer wieder selbstkritisch fragen, wo wir noch nicht genug tun.
Mölln ist eine Mahnung. Wir solidarisieren uns mit den Angehörigen und den weiteren Opfern aus der Mühlenstraße 9 und der Ratzeburger Straße 13.
Wir erinnern heute an Bahide Arslan (51 Jahre), Yeliz Arslan (10 Jahre) und Ayse Yilmaz (14 Jahre), die vor 30 Jahren in unserem Land Opfer eines rassistischen, heimtückischen und brutalen Mordanschlags wurden.
„Das Leid ist durch nichts wieder gut zu machen.“ hieß es in einem Dringlichkeitsantrag drei Tage nach der Tat in diesem Landtag. Das gilt auch heute. Wir übernehmen die politische Verantwortung für das, was am 23. November 1992 in Mölln geschehen ist.